Frauen im Profiradsport? Eher Fehlangzeige
Die Saison 2020 lief gerade an und einer unserer Fahrer stellte einen Kontakt her zu „diesem Videomädchen“. Ja cool, so was können wir gebrauchen, schöne Videos über unser Rennen, Trainingslager, Sponsorentermine, so läuft es ganz klassisch und damit tappen wir schon in die Falle. Frauen sind auch in World Tour Teams aktiv, als Physiotherapeutin, Betreuerin oder vielleicht noch als Pressesprecherin oder Social Media Beauftragte. Dann wird es aber schon sehr dünn, eine Mechanikerin, Sportliche Leiterin oder gar Team Managerin? Eher Fehlanzeige.
Sie kann auch Radfahren?
Wir waren in einem Trainingslager in den Bergen, Tamara machte klasse Videos aus dem offenen Kofferraum liegend, während das Auto um die Kurven düste, die Fahrer dicht dahinter. Als wir fertig waren, setzte sie sich selbst aufs Rad und bügelte mit den Jungs eine Abfahrt herunter. Ohne jegliche Angst und mit perfekter Radbeherrschung boxte sie sich bei Highspeed durch die Gruppe. Puh, sie kann auch Radfahren?
Papa Nationaltrainer in Holland auf der Bahn, mit ihrer Schwester schaute sie schon als Kind dem Training zu, vor 4 Jahren dann selbst holländische Meisterin im Sprint, ja dann kann man Radfahren. Sie hatte große sportliche Träume, doch etliche Schwierigkeiten ließen sie Abstand nehmen vom Leistungssport.
Endlich jemand für die Videos
Sie griff zur Kamera, machte eine Ausbildung und gründete ihre eigenes Business „Tamara de Graaf Movie“. Und gerade 21 Jahre alt macht sie es schon richtig gut. Für uns ist es eine großartige Bereicherung und hilft uns, die Kommunikation über unsere Aktivitäten zu verbessern. So waren wir irgendwie zufrieden und dachten, ja jetzt haben wir jemand für die Videos.
Ihren Spaß am Rennen fahren hat sie wieder gefunden und wird 2021 neben der Arbeit für BIKE AID Fixed Gear Rennen für ein Team aus London fahren. Und Fixie Rennen (keine Bremsen, keine Schaltung) ist nix für Mädels, die klein beigeben. Genau so haben wir Tamara kennengelernt.
„Ich liebe es, mit den Jungs unterwegs zu sein. Sie haben mich nicht wie "nur eine Videofilmerin" oder anders behandelt, weil ich eine Frau bin. Vom ersten Moment an habe ich mich gefühlt, als bin ich ein fester Teil der Gruppe, mehr wie eine Familie an als nur ein Radteam. Ich habe in der kurzen Zeit bereits unzählige schöne Erinnerungen mit dem Team erlebt, wenn wir neue Länder auf der ganzen Welt entdecken, und ich bin sehr glücklich, Teil dieses Teams zu sein“ so Tamara de Graaf.
Was, sie will auch Autofahren?
„Sie schrieb mir, sie hätte eine Frage, traue sich aber kaum sie zu stellen. Sie träume davon, auch mal Sportliche Leiterin zu werden in einem Profiteam. Vielleicht war sie auf die Antwort nicht ganz gefasst, als ich meinte, kein Problem, klar können wir dir dabei helfen. Sollten wir irgendwann mit unserer verrückten Idee unseres Teams bei der Tour de France landen und kein anderes Team hätte es zuvor geschafft, auf jeden Fall müsste eine Frau Sportliche Leiterin sein. Peinlich genug für den Profiradsport, dass bislang nur Männer hinterm Steuer sitzen“, so Matthias Schnapka.
Selbst im Frauenradsport, der ohnehin schon sehr benachteiligt da steht, müssen sich Sportlerinnen oft bestenfalls von besserwisserischen Männern führen lassen. Wer sich aber etwas tiefer in der Materie auskennt, weiß um etliche fragwürdige Charaktere als Team Manager, welche die Abhängigkeit der Sportlerinnen ausnutzen. Zumindest trauen sich mehr und mehr Sportlerinnen mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit, was einige Debatten in jüngerer Vergangenheit zeigen (Beispiel 1, Beispiel 2 ).
Warum braucht es eigentlich immer noch solche Artikel?
Tamara de Graaf wird sicher ihren Weg gehen. Wenn wir ihr dabei ein kleines Stück helfen können, sind wir zufrieden. Und hoffentlich werden wir bald soweit sein, dass es eines solchen Artikel nicht mehr bedarf. Denn alleine das man noch hervorheben muss, dass Frauen irgendwas können oder wollen, ist nicht wenig mit Vorurteilen behaftet. Jeder Junge würde sagen „ich will“ und Tamara muss schreiben „ich weiß es ist nicht einfach als Frau Sportliche Leiterin zu werden, aber ich weiß es ist nicht unmöglich“.