Radsport als Computerspiel? Echter Schweiß zum Antrieb von virtuellen Avataren? Wo bleibt da die eigentliche Faszination, grandiose Landschaften, begeisterte Zuschauer, die Unwägbarkeiten des Wetters, all das was Atmosphäre bedeutet. Aber was soll man machen. Es sind besondere Zeiten und so besteht zumindest die Möglichkeit, einen Teilaspekt des Radsports auszuleben, dass reine Kräftemessen, wer es schafft in seinem Radkeller vor einem Bildschirm am festesten in die Pedale zu treten.
So etwas hätten sich die verantwortlichen beim Bund Deutscher Radfahrer sicher vor einiger Zeit selbst nicht vorstellen können. Die amtlichen Wettkampfausschreibungen sind über Wochen mit dem Vermerk „Abgesagt“ versehen, ob es dieses Jahr noch eine Radbundesliga im freien geben wird, steht in den Sternen und BDR Leistungssportdirektor Patrick Moster und Vizepräsident Leistungssport Günter Schabel haben eine offizielle „Generalausschreibung“ für ein online Radrennen gezeichnet.
Dabei ist es derzeit keine Seltenheit mehr. Die World Tour Teams machen es vor, der Giro d´Italia wird gerade in einer online Version gefahren, dort treffen die Stars auf über 4.000 Hobbyfahrer. Irgendwie doppelt verdrehte Welten. Das Corona Virus zwingt zur Distanz und virtuelles Radfahren bringt Hobbyfahrer und Profis näher zusammen denn je. Auch in Österreich wird die Bundesliga mit den nationalen Top Teams virtuell ausgefahren, die Tour de Swiss startet online mit 16 World Tour Teams inklusive Liveübertragung im Schweizer Fernsehen.
Auch in Deutschland wird es virtuelles Radfahren im TV geben. Ganze 4 Stunden Sendezeit plant der Hessische Rundfunk ein, um Eschborn Frankfurt am 1. Mai auch in Corona Zeiten am leben zuhalten. Mit Starbesetzung um Tour de France Moderator Florian Nass sowie Experte Fabian Wegmann am Mikrofon und Pascal Ackermann sowie John Degenkolb auf den Heimtrainern sind alle Hobbyfahrer zum Zuhause mitfahren aufgerufen, um sich virtuell und interaktiv zu vernetzen.
Mit viel Tamtam wurde in den letzten Tagen der Start der Deutschen Radsportbundesliga als Onlineversion angekündigt, in den diversen sozialen Medien wurde diskutiert und die Spannung stieg. Per Livestream sollte man das Rennen verfolgen können, Bastian Marks vom Besenwagen Podcast wollte mit prominenter Unterstützung von Rick Zabel das Rennen kommentieren. Doch zur geplanten Starzeit bleiben die Bildschirme schwarz, irgendwas wollte technisch nicht wie geplant. Erst nach gut der Hälfte des Rennen ging die Livesendung dann los und auch da blieb es mehr improvisiert. Marks und Zabel schienen wenig vorbereitet, kannten sich weder mit den Eigenheiten des virtuellen Radfahren aus noch hatten sie einen Überblick über das Renngeschehen. Allerdings machte dass die Sache um so sympathischer, ersparte es dem ganzen eine zu große Ernsthaftigkeit.
Virtuelles Radfahren bietet einen absolut genialen Aspekt. Es verknüpft wie kaum eine andere Sportart das Virtuelle mit dem Reellen, den unaufhaltsamen Boom des Computer Gaming mit schweißtreibendem Sport. Für viele öffnet es die Möglichkeit, den Sport besser in den Arbeits- und Familienalltag zu integrieren, unabhängig von Tageszeit und Witterung. Aber vielleicht kommen so auch Menschen vom abstrakten Computerspiel zum Spaß am echten Körpergefühl und finden irgendwann heraus, dass das erleben der Natur und unmittelbare sozialer Kontakte in der echten Realität doch eine andere Qualität haben. Hoffen wir auf diesen Effekt nach der Corona Zeit.
Bis dahin werden sicher auch einige Sportler unseres Teams die diversen Online Angebote zum Zeitvertreib nutzen und ihren Spieltrieb ausleben. In wie weit diese Wettkämpfe fair ausgetragen werden, ist ein Thema für sich. Entscheidend ist, welches Körpergewicht derjenige angibt, da die Leistung pro Kilogramm Körpergewicht massgeblich ist. In den Ergebnislisten der online Rennen tauchen dann nicht wenige Leistungen auf, die Stirnrunzeln auslösen. So mancher Weltklassenprofi wäre froh um solche Werte. Schon deshalb sollte man das ganze nicht zu ernst nehmen.
Ohnehin ist es nicht jedermanns Sache. Teamfahrer Daniel Bichlmann schickte ein Bild, wie er gerade genussvoll ein Eis in der Sonne der bayrischen Alpen verzehrte, während Lucas Carstensen selbstironisch seinen Sieg auf einem Kasten Oettinger zelebrierte und sich von den leeren Straßen Hamburgs auf seiner Terrasse dafür feiern ließ. Größer könnten die Gegensätze wohl nicht sein.
Ergebnis auf Zwiftpower
Bericht Radsport News
Bericht rad-net