Radsportbgeisterung aber auch Geringschätzung
Der Radsport in Afrika ist eines der zentralen Bestandteile des Konzepts von BIKE AID. Zum einen gibt es Länder wie Eritrea, Ruanda oder Burkina Faso, wo Radsport die Sportart Nr. 1 ist. Die einzigartige Radsportbegeisterung dort möchten wir transportieren und Talenten einen Chance geben.
Aber ebenso gibt es Länder in Afrika, wo die Sportart Radsport kaum Bedeutung hat. Wo das Fahrrad als Rückständig gilt, lediglich als Arbeitsgerät für die Ärmsten. Wo große Geländewagen als Zeichen des sozialen Aufstiegs gelten, deren Besitzer daraus das Gefühl der Überlegenheit gegenüber Ärmeren ableiten und mit ihrem aggressiven Fahrstil die Geringschätzung eines Menschenleben auf dem Fahrrad zum Ausdruck bringen.
Wer im Land der Läufer Radfahrer werden will, wird ausgelacht
Kenia ist das Land der Läufer. Einen großen Marathon gewinnen und dank Sponsorenverträge und Preisgeld den sozialen Aufstieg schaffen. Viele Kenianer haben dies erreicht und unendlich viele mehr eifern diesem Traum hinterher. Inklusive der Schattenseiten des Dopings.
Aber Jugendliche, die den Traum verfolgen Radsportler zu werden? Zwar ist ein gewisser Chris Froome in Kenia geboren, aber einen Radsportboom hat er gemeinsam mit Bradley Wiggins und anderen in Großbritannien ausgelöst, nicht in Kenia (Inlusive den MAMILS, dazu aber später mehr).
Sule Kangangi gehört mit zu den ersten in Kenia, die den Radsport für sich entdeckt haben. Geboren in Eldoret, unweit der Läuferstadt Iten wurde er von den anderen Jugendlichen dafür belächelt. Ob er damit viel Geld verdiene? Nein, aber es bereite ihm große Freude. Eine für Afrika ungewöhnliche Antwort.
Kindearbeit für 8 Dollar im Monat
Als Kind wurde er von seinen Eltern für 8 Dollar monatlich „ausgeliehen“ um Rinder auf der Weide zu beaufsichtigen. Als Jugendlicher Sport zu betreiben, hungrig nachhause zu kommen und damit nicht zum Familieneinkommen beizutragen, kaum vorstellbar.
Aber Sule setzte sich durch, war der erster Kenianer, der einen Podiumsplatz bei einem Rennen des Internationalen Profikalenders belegte und ebnete damit die Bahn für die nachfolgenden Fahrer wie Salim Kipkemboi. Er reiste in den letzten Jahren mit BIKE AID um die Welt, fuhr in China oder Saudi Arabien und durfte sich bei der Tour of the Alps oder der Route d'Occitaniea mit den Größen der Tour de France messen. Er wurde Profisportler.
Radfahren einfach nur zum Spaß?
Bei einem der ersten Aufenthalte in Deutschland fragte uns einst einer unserer afrikanischen Fahrer, was diese älteren Herren auf dem Rad machen, die Sattelstütze etwas zu tief, die Knie beim treten weit nach außen ragend, um dem kleinen Wohlstandsbauch auszuweichen um sogleich beim nächsten Biergarten sich genüßlich zu verköstigen. Ein Fahrrad als Transportmittel, wenn man kein Auto besitzt oder ein Sportgerät für einen Profisportler, ja. Aber Radfahren aus Vergnügen?
Sule hat vergangenes Jahr die Everest-Challenge bestritten, mutmaßlich als erster Schwarzafrikaner. 8.848 Höhenmeter auf einer einzigen Straße, in dem man immer wieder hoch und runter fährt. Spätestens seit Corona eines der Top Ziele auf der Bucket List eines jeden MAMILS. In der westlichen Welt kann man diese Auswüchse des Extrem Radfahrens getrost etwas belächeln, sind sie doch Ausdruck eines Wohlstandsüberdruss, gerade wenn ein Mann in seiner Midlife-Crisis 400mal die eigene Hofeinfahrt hoch und runter fährt, um sich dann auf seinem Instagram Kanal selbst als großer Held zu feiern.
Für Sule ist die Everest-Challenge aber Ausdruck eines selbstbestimmten Lebens, ein nicht unerhebliches Ereignis, mit dem er sich von den Gesetzmäßigkeiten der dritten Welt emanzipiert und damit anderen jugendlichen Mut macht.
1.000km für 2.2mio. Kenia Schilling
Oder genau so wie seine nachfolgende Aktion. Er fuhr mit dem Fahrrad in drei Tagen 1.000km von der Hauptstadt Nairobi an die Küste nach Mombasa und zurück. Mit dem Ziel Spendengelder für benachteiligte Kinder zu sammeln. Die Aktion #Sule1000 verfolgten hunderte im Livestream, mehrere TV Sender berichteten, Radfahrer aus dem ganzen Land reisten an, um ihn stückweise zu begleiten.
Die Begeisterung der Kinder spricht für sich, als er im Waisenhaus in seiner Heimatstadt die Spenden überreichte und von sich und seinen Erlebnissen auf der ganzen Welt berichtetet.
Sule hat den schwierigen Weg gemeistert, von Kinderarbeit ohne Aussicht auf Bildung zu einem Profisportler der die Welt bereist. Den Weg hin zur Freiheit selbst zu Entscheiden was man tut, dies mit Freude zu tun und damit anderen Mut zu machen.
Sule steckt voller Tatendrang, hilft gerade das erste Gravel Race in Kenia zu organisieren oder unterstützt das Talentscouting bei den legendären Black Mamba Rennen, bei denen Kinder auf den 25kg schweren Lastenrädern gegeneinander antreten.
Vorbild - Motivator - Mentor
Wir sind dankbar, das Sule 4 Jahre das Trikot unseres Teams im international Radsport präsentierte und wir werden seinen Weg weiter begleiten. Er gehört zur ersten Generation afrikanischer Radsportler, die ihre Erfahrung aus dem internationalen Radsport an die Jugend weiter geben können. Er ist ein großartiger Charakter, der Kinder begeistern kann, der in seinem Land noch viel für den Radsport bewegen kann, als Sportler, Eventmanager, Motivator oder vielleicht in Zukunft irgendwann als Nationaltrainer, damit Kenia vielleicht endlich eine nationale Meisterschaft ausrichten kann, die es längst verdient hätte.