Wenn die Freizeitradler nach ihren Touren im Hotel beim Abendessen sitzen, ist die Stimmung meist euphorisch, jeder berichtet von den Heldentaten des Tages, freut sich seiner Leistungen. Aber wie sieht es aus, wenn sich die Fahrer kleinerer Teams wie BIKE AID mit den besten der Welt messen müssen?
Der Unterschied wird schon weit vor der Küste Mallorcas deutlich, draußen auf dem Meer
Wer in den Tagen vor der Challenge Mallorca in Barcelona eine Fähre betritt, der glaubt inmitten der Tour de France zu stehen. Im Laderaum stehen die großen Reisebusse und LKW´s der Teams, schiffen Unmengen an Material und Bequemlichkeiten für die Radprofis auf die Insel. Dazwischen ein kleiner Kombi mit saarländischen Kennzeichen, auch voll gepackt. Der Fahrer: Timo Schäfer, Teamorganisator und selbst Fahrer hat sich von Sankt Wendel aus auf den Weg gemacht. Es fühlt sich ein wenig bedrohlich an in diesem Laderaum der Fähre.
Die anderen Fahrer des Teams dürfen es sich derweil im Flugzeug bequem machen, neben den Kittels, Degenkolbs und Greipels. Aber diese Gleichheit besteht nur kurz. Wer glaubt, Weltklasse Sportler kommen im Januar nach Mallorca um sich etwas einzurollen, der irrt gewaltig. Die Profis haben hier nur ein Ziel: Maximal an die Schmerzgrenze zu gehen, zu testen wie die Form ist, den Teamchefs zu beweisen, dass sie bereit sind für die großen Frühjahrsklassiker. Und die Strecken alles andere als einfach: Das Tramuntana Gebirge wird kreuz und quer durchritten, alle großen Pässe stehen auf dem Programm.
Einzig das erste Rennen war in den vergangenen Jahren etwas flacher, es kam meist zu einem Sprint. Aber Spanien stellt aktuell den amtierenden Straßenweltmeister und zu dessen Ehren verlegte man das Ziel kurzerhand auf den legendären San Salvador. Besagter Weltmeister wollte auch gleich vorab klarstellen, wer hier den Ton angeben soll. Bei Strava pulverisierte er am Vortag des Rennens die Bestzeit (den sogenannten KOM), an dem sich bisher nicht weniger als 30.000 Radsportler eingetragen haben.
Auch BIKE AID wollte im Rahmen seiner Möglichkeiten an diesem Tage etwas erreichen, hat mit Adne van Engelen einen ausgewiesenen Bergspezialisten am Start. Er ist auch ein ganz kleiner Weltmeister, wenn auch nur der Studenten. Es wäre Blasphemie, dies mit dem offiziellen Weltmeistertrikot zu vergleichen. Und dennoch, wenn auch mehr im Spaß, waren die Vortage des Rennens teamintern bestimmt durch die Gespräche über das Aufeinandertreffen der Weltmeister.
Alle wollten diesen Berg als erster bezwingen und so kam es, wie es kommen musste
Nervosität, Gedränge, Windkante und ein hohes Tempo bis zum Massensturz kurz vor dem Ziel. Für viele war die Weiterfahrt damit beendet, da sie sich in einem Knäul aus Carbon und menschlichen Gliedmaßen am Boden wiederfanden. So auch Mikel Landa, vierplatzierter der Tour de France 2017, welcher mit Blaulicht ins Krankenhaus verfrachtet werden musste.
Die BIKE AID Fahrer kamen zwar ohne große Blessuren durch, konnten aber nur noch mit erheblichem Rückstand das Ziel erreichen. Enttäuschung bei Adne van Engelen, der seine Chance nicht nutzen konnte, vielleicht mit einem Platz unter den ersten 20 zumindest ein kleines Ausrufezeichen inmitten der Weltelite zu setzten. Aber auch besagter Weltmeister verfehlte den Sieg.
Es folgten zwei Renntage, deren Herausforderungen schlicht nur Weltklasse Athleten meistern können. Lediglich Adne van Engelen konnte, zumindest auf der Etappe von Andratx über den höchsten Pass der Insel, den Puig Major von Soller aus, mithalten und erreichte als 39. das Ziel.
Erst am letzten Tag sollte es eine Chance für die Sprinter geben. Für BIKE AID mit Aaron Grosser und Lucas Carstensen eine berechtigte Hoffnung auf ein Top Ergebnis. Doch auch hier stellt sich kurz vor Palma der Coll de sa Creu in den Weg. Aber wenn Sprinter wie Marcel Kittel über den Berg manövriert werden, profitieren auch andere davon.
Auf den Schlussrunden rast das Feld durch Palma, vorbei an der Kathedrale und dem Jachthafen
Wenige Kilometer vor dem Ziel spricht der spanische Fernsehkommentator von einem Justin Wolf. Der BIKE AID Neuzugang hat sich genau den richtigen Moment ausgesucht, um seine Tempohärte aus den Bahnweltcups auf der Straße zu zeigen. So steht er einige Minuten im Fokus der Kameras, bis ihn das Feld kurz vor der Ziellinie einholt und Marcel Kittel seinen ersten Sieg seit langer Zeit feiern kann. Nur kurz dahinter aber dennoch auf einem undankbaren 21. Platz erreicht Lucas Carstensen das Ziel.
Im letzten Jahr gelang Lucas Carstensen noch ein Traumstart in die Saison, als er direkt die erste Etappe der Tropical Amissa Bongo in Gabon gewann. André Greipel benötigte dieses Jahr bei seinem Debut in Gabon sechs Etappen Anlauf, bis er Lucas Carstensen mit einem Etappensieg gleichziehen konnte.
Mit der Challenge Mallorca hat sich BIKE AID einen schweren Saisonstart herausgesucht, von Siegen war hier sicher nicht zu träumen. Dennoch werden sich diese Erfahrungen in den nächsten Rennen auszahlen.