Glich er da etwa seinem Herrchen? Mit dem Wagen konnte man bis in den Wald hinein fahren und dann würde er losmarschieren, die Ruhe genießen, die gute würzige Luft einatmen, hin und wieder eine Rast einlegen…
Gedacht, getan. Der Wagen stand gut im Schatten geparkt und los ging es. Die neuen Wanderschuhe drückten zwar noch etwas und die Kniestümpfe juckten, aber das würde sich schon geben. Frohgemut schwang er den Spazierstock mit den 27 Wanderabzeichen. Ein tolles Stück. Tief atmete er ein – und musste husten. Scheint ja doch nicht so gesund zu sein, die Waldluft, dachte er. Und da krachte plötzlich ein Schuss. Ganz in der Nähe. War heute Treibjagd? Oder hatte ein Grünrock sich verspätet und noch ein Eichhörnchen oder einen streunendnen Hund entdeckt? Missmutig brummend marschierte er weiter. Mupps schien überhaupt nichts bemerkt zu haben. Auf den musste er also aufpassen...
An der nächsten Wegabzweigung blieb er verdutzt stehen. Ein rotweißes Band versperrte den Weg, den er nehmen wollte. Was ist das jetzt? Doch eine Treibjagd? Oder hatten Waldarbeiter vergessen, das Band zu entfernen? Das war aber auch ärgerlich, denn dann würde er bald über Äste und Baumstämme klettern müssen. Ganz zu schweigen von den zu Brei gefahrenen Wegen. Aber irgendwie zeugten die Spuren auf dem Waldweg schon von Aktivitäten im Wald. Aber die Spuren waren so schmal!
Mal sehen. Stöhnend kletterte er unter dem Band hindurch, Mupps hatte weniger Probleme. Noch sah er keine gefällten Bäume. Aber plötzlich hörte er Geräusche: ein Scheppern und ein Keuchen. Die Geräusche kamen immer näher. Mupps blieb stehen. Gott sei Dank, denn da kam schon etwas aus einem Nebenweg geschossen. Ja, geschossen. Vor Schreck blieben die beiden Wandergesellen wie versteinert stehen. Das war ja ein Radfahrer! Wie war der denn so komisch angezogen: ganz bunt, einen Sturzhelm hatte er auf, eine Sonnenbrille (Es schien doch heute keine Sonne!) So schnell wie der vorbei war, konnte er gar nicht gucken. Moment! Solche Leute hatte er schon mal im Fernsehen gesehen. Sport? Tour de …? Ja, die waren auch so angezogen. Hat er aber damals gleich weitergeschaltet! Was macht so einer hier im Wald? Und warum rast der so? Ist doch gefährlich, gell, Mupps! Er beugt sich zu seinem Hund runter und streichelt ihm über den speckigen Rücken.
„Mensch rüber, Alter!“, brüllt es plötzlich ganz laut neben ihm. Vor Schreck macht er einen Schritt zurück und stolpert über einen Ast und sitzt auf dem Hosenboden. Aber seine Wanderhose hat ein robustes Herz aus Wildleder zur Verstärkung hinten drauf. Die Landung wird abgefedert. Staunend sieht er gerade noch, wie vier weitere Radfahrer, ganz ähnlich gekleidet, hinter der nächsten Wegbiegung verschwinden. Die scheinen dem nachzufahren. Vielleicht hat es Ärger gegeben. Die Burschen hatten auch ganz verbissene Gesichter aufgesetzt. Sogar hier in diesem friedlichen Wald streiten sich die Menschen! Kein Wunder, dass es so viel Krieg auf der Welt gibt!
Noch ganz in seine weltbewegenden Gedanken versunken hat er sich aufgerappelt, den Hintern abgeklopft und sich wieder auf den Weg gemacht. Er biegt in den Weg ein, aus dem die Radfahrer eben heraus kamen. Aus Neugier? Er fällt etwas steil ab und man hat einen guten Einblick in den Verlauf des Weges. Das gibt es doch nicht: Dort unten kommen noch mehr den Weg hoch! Bestimmt 20 Leute, ne ganz Horde!
Komm rüber, Mupps! Das kann gefährlich für uns werden. Die Radfahrergruppe kommt immer näher. Sie schnaufen ganz schön, einige stehen auf dem Rad und können dabei noch fahren. Jetzt überholen einige noch. Der Weg ist doch viel zu schmal! Peng, da liegt auch schon einer auf dem Boden. Was ist denn mit denen los? Ist der Teufel in sie gefahren?
Zumindest fahren sie wie die Teufel! Sag, Mupps, was ist hier bloß los? Komm, wir machen, dass wir weiter kommen! Die beiden wandern weiter. Es ist wieder still geworden. Da biegt schon wieder einer um die Ecke. Hat wohl den Anschluss verpasst. Warum haben die alle Schilder mit Nummern vorne am Rad? Seltsam! Kopfschüttelnd schaut er dem letzten Fahrer nach. Der Weg schwenkt nun nach links und steigt an. Die nächste Biegung bringt die nächste Überraschung: Da steht mitten im Wald ein großer Feuerwehrwagen am Wegesrand. Da scheint ja heute allerhand los zu sein im Wald. Zwei Feuerwehrleute sitzen rauchend im Auto. Na, Männer wo brennt´ s denn heute? Einer bläst ihm den Rauch ins Gesicht: Nur die Zigarette, wir sorgen hier für Ruhe und Sicherheit, Meister, und retten die Leute! Verdutzt schaut sich der Wanderer um. Niemand zu sehen, der zu retten wäre. Doch in dem Moment ertönt ein grässliches Quietschen, dann sogar mehrstimmig. Über einen schmalen Weg, der nicht gleich zu sehen war, kommt wieder der Radfahrer an, den er vor zehn Minuten schon mal gesehen hat. Halsbrecherisch saust er den Weg runter, schleudert durch eine Kurve, ziemlich dicht an den beiden vorbei und ist schon verschwunden. Nach einer Erklärung heischend blickt er zu den zwei Feuerwehrleuten rüber. Einer hat gerade so ein dickes tragbares Telefon in der Hand und spricht was Wichtiges hinein.
Der andere steigt jetzt aus und stellt sich neben den Wanderer. Ja, bei so einem Rennen brauchen sie uns. Wird aber gut bezahlt. Der Wanderer wundert sich: Ein Rennen ist das? Mitten im Wald? Ist denn so was erlaubt? Die Feuerwehr: Klar, bei Mountainbikerennen ist das so. Bestens informiert – mit dem Wort Mountainbike kann er gar nichts anfangen – ruft er seinen Hund Mupps, der sich gerade am Hinterrad des Feuerwehrwagens erleichtert hat. Sie müssen weiter. Mupps kann löschen, wo nichts brennt….
Nach fünf Minuten ruhigen Dahinwanderns stoßen die beiden wieder auf Leute. Schau mal, Mupps, da hat aber einer einen großen Durst! Der hat vier Flaschen in einem Körbchen neben sich stehen. So heiß ist es doch heute gar nicht! Sie sind noch einige Meter von den Leuten entfernt, als die ersten Fahrer – nun dichter zusammen – wieder des Wegs kommen. Schon von weitem wildes Durcheinanderrufen, das unser Wanderer gar nicht versteht. Der erste Fahrer nähert sich. Einer der am Weg Stehenden hält mit ausgestrecktem Arm eine Trinkflasche in den Weg. Der Fahrer schnappt sie sich und nimmt sofort einen Schluck. Beim Fahren! Unglaublich. Und schon sausen auch die anderen an ihm vorbei, ziemlich knapp. Plötzlich jault Mupps laut auf. Da hat doch einer der Fahrer tatsächlich so eine Trinkflasche nach Mupps geworfen! Warte nur, Bursche!, schimpft der Wanderer der Meute hinterher. Aber wer war eigentlich der Übeltäter? Immer noch wütend bückt er sich und streichelt Mupps. Na, tut´ s noch weh? Er sieht die Trinkflasche im Gras liegen und versetzt ihr einen kräftigen Tritt mit seinen Wanderstiefeln. Das haben die anderen Leute gesehen und zwei kommen jetzt zu ihm. Ja. er müsse das verstehen. Das war keine Absicht mit dem Hund. Er müsse wissen, die Fahrer würden hier die Flaschen wechseln, die leeren werden einfach hingeworfen und die Betreuer nehmen sie mit. Etwas freundlicher gestimmt, bedankt er sich und will gerade weiter ziehen…
Da kommt nach eine Gruppe von Radfahrern den Weg entlang. Etwas langsamer. Mupps und sein Herrchen bleiben sicherheitshalber stehen. Bisschen anders sehen die Jungs ja aus. Ui, das sind ja Frauen! Donnerwetter! Er kann ihnen nur noch nachschauen. Nicht schlecht in diesen eng sitzenden Kleidern. Da sieht man was. Gut, dass seine Alte ihn jetzt nicht sieht. Noch etwas zufriedener setzt er endlich seinen Weg fort. Er blickt noch mal zurück, aber die feschen Mädels sind schon weg. Na ja, das hat er schon gelernt: die kommen wieder.
Immer deutlicher hört er jetzt eine Lautsprecherstimme. In ungleichen Abständen erklingt sie. Noch kann er nicht verstehen, was gesprochen wird, aber der Mann am Mikrofon scheint sich ganz schön zu ereifern. Dann scheint Musik zu laufen. Kirmes im Wald??
Auf dem Weg vor ihm liegt plötzlich eine von diesen Plastikflaschen. Mit seinem Spazierstock stößt er sie an. Sie scheint nicht ganz leer zu sein. Er bugsiert sie mit dem Stock an den Wegesrand. Hat die jetzt einer verloren oder weggeworfen?
Zwanzig Meter weiter kommt der Wanderstock schon wieder zum Einsatz. Da liegt schon wieder was auf dem Boden. Die scheinen eine Menge zu verlieren bei so einer Rennerei, denkt er und bückt sich etwas. Mupps kommt auch näher und beschnüffelt das Plastikteil, das da auf dem Boden liegt. Sieht aus wie eine kleine Zahnpastatube, denkt er, aber die werden sich doch unterwegs nicht die Zähne putzen. Pass auf, Mupps, nachher finden wir noch eine Zahnbürste! Mit einem kleinen Schlag schießt er das Ding an den Wegrand und bückt sich wieder, um es besser zu erkennen. In die Hand nehmen will er es lieber nicht. „Power Gel“ liest er. Ah, vielleicht was zu einreiben. Gel, das kennt er. Das schmieren sich die jungen Leute heute in die Haare. Aber während der Fahrt? Seltsam. seltsam, diese Mondenbeik-Rennen.
Inzwischen ist unser Wander- und Naturfreund ein wenig müde geworden von der vielen frischen Waldluft und vom Zuschauen. Und Hunger und Durst hat er auch. So wird er wie magisch von den volksfestähnlichen Geräuschen angezogen, die mittlerweile immer deutlicher geworden sind. Immer mehr Leute begegnen ihnen. Er treibt seinen Hund an. Er will endlich wissen, was da los ist. Nach zehn Minuten weiß er es: ein Volksfest. Am Rand eines alten Sportplatzes sind Zelte und Stände aufgebaut, Musik erklingt aus Lautsprechern und ne Menge Leute laufen rum. Von seinen untrüglichen Instinkten geleitet findet er schnell die richtigen Stellen: den Rostwurst- und den Kuchenstand. Hier ist er richtig. Mupps bekommt eine Wurst, er selbst genehmigt sich erstmal zwei Stücke Kuchen und eine Tasse Kaffee. Ist ja gar nicht so teuer, staunt er. Am Bierstand findet er dann endlich zur Ruhe. Mit der Anzahl der Biere und der Informationen, die er hier über die Veranstaltung bekommt, wird er bald zum Mountainbike-Fan…
(Norbert Martini)